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Lucy Gayheart

Bibliothek der Weltliteratur - Roman

Erschienen am 17.03.2008
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783717521563
Sprache: Deutsch
Umfang: 448 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 15.5 x 9.8 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Aufbruch einer jungen Frau zu einem neuen, leidenschaftlichen Leben Mit großem Einfühlungsvermögen und zarter Poesie erzählt Willa Cather die Geschichte einer Selbstfindung. "Lucy Gayheart" ist das liebevolle Porträt einer jungen Frau, die zu neuen Ufern aufbricht: das erste eigene Zimmer, die erste große Liebe und die ewige Frage, warum man nie den Mann will, den man haben könnte.Jeder im amerikanischen Städtchen Haverford sagt Lucy Gayheart eine glänzende Zukunft voraus: Sie ist jung, hübsch und eine ausgezeichnete Klavierspielerin. Doch Lucy wünscht sich mehr als das langweilige Kleinstadtleben und den wohlhabenden, doch allzu bodenständigen Harry, der sich im geheimen schon als ihr Ehemann sieht. Sie zieht zum Musikstudium nach Chicago, wo sie das Großstadtleben und ihre neugewonnene Unabhängigkeit fern der Heimat genießt. Mit dem berühmten, schon wesentlich älteren Tenor Sebastian erlebt sie schließlich die Aufregungen und das Glück der ersten Liebe. Als Harry jedoch plötzlich in Chicago auftaucht und Lucy einen Heiratsantrag macht, erfindet sie aus der Not heraus eine Lüge, die ihrer beider Leben für immer verändern wird.

Autorenportrait

Als Achtjährige übersiedelte Willa Cather (1873-1947) mit ihren Eltern von Virginia nach Nebraska, wo sie mit der unermesslichen Prärie, aber auch mit den dortigen Einwanderern aus der Alten Welt Bekanntschaft schloss. Diese Erfahrungen eines Neben- und Miteinander verschiedener Ethnien, Religionen und Kulturen prägten sie tief. Obwohl sie als Lehrerin, Redakteurin und später als erfolgreiche Schriftstellerin vor allem in New York lebte, spielen ihre Werke meist in der heroischen Weite der Prärie des amerikanischen Westens und Südwestens, der sie so ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Willa Cather erhielt den Pulitzer-Preis und gilt als eine der großen amerikanischen Erzählerinnen.

Leseprobe

1 In Haverford am Platte River sprechen die Leute noch heute von Lucy Gayheart. Zwar sprechen sie nicht sehr oft von ihr, denn das Leben geht weiter, und wir leben in der Gegenwart. Aber wenn sie ihren Namen erwähnen, dann ist stets ein sanftes Glühen in ihrer Stimme oder auf ihren Gesichtern, ein geheimnisvoller Blick in ihren Augen, der bedeutet: 'Ja, ja, du erinnerst dich auch noch an sie!' Und sie sehen sie noch immer als ein zierliches Geschöpf, das ständig in Bewegung ist, ob es nun tanzt oder Schlittschuh läuft oder geht - mit zielbewußtem Eifer, wie ein heimwärts fliegender Vogel. Wenn dichter Schnee niederfällt, dann sehen die älteren Leute aus dem Fenster und denken daran, wie Lucy stets durch solches Schneegestöber flog, den Muff an die Wangen gepreßt, und sie scheute nicht vor dem Wetter zurück, sondern überließ ihren Körper dem Wind, als wollte sie mit ihm Schritt halten. In der Sommerhitze kam sie ebenso flink die langen, schattigen Bürgersteige herunter und überquerte die offenen Plätze, die im Sonnenglast flimmerten. Und an den beklemmend grellen Augustmittagen, wenn die Pferde den Kopf hängen ließen und die Arbeiter es 'ruhig angehen' ließen, ging sie niemals etwas ruhig an. Sie pflegte immer zu sagen, bei Kälte käme sie sich viel lebendiger vor; doch die Hitze schien den gleichen Einfluß auf sie zu haben. Die Gayhearts wohnten am Stadtrand, eine halbe Meile westlich von der Hauptstraße. Die Leute sagten immer, 'draußen bei den Gayhearts', und im Sommer hielten sie es für einen Gewaltmarsch. Doch Lucy legte die Entfernung ein dutzendmal täglich zurück, legte sie schnell zurück mit ihrem unverwechselbaren Gang, der Ausdruck ihres unbezähmbar leichten Sinnes war. Wenn die alten Frauen, die im Garten arbeiteten, sie in der Ferne erblickten, eine zarte weiße Gestalt im flirrenden Schatten frühsommerlichen Laubgewölks, dann erkannten sie sie stets an der Art, wie sie sich bewegte. Da kam sie an Hecken und Fliedergebüsch und Lauben aus krausem grünem Wein und an Narzissenbeeten entlanggelaufen, und man spürte, wie sie alles genoß - ihre Sommerkleider, die Luft und die Sonne und die ganze Blütenwelt. In ihrem Wesen lag etwas, das ihren Bewegungen glich, etwas Unmittelbares und Rückhaltloses und Fröhliches, und das gleiche sprach aus ihren braungoldenen Augen. Es waren keine sanften braunen Augen, vielmehr glommen goldene Funken in ihnen auf, wie bei dem Coloradostein, den wir Tigerauge nennen. Ihre Haut war ziemlich dunkel, und die Farbe ihrer Lippen und Wangen war vom Rot dunkler Pfingstrosen - ein tiefes, samtenes Rot. Ihr Mund war so sinnlich und empfindsam, daß er jeden Hauch eines Gefühls widerspiegelte. Photographien von Lucy bedeuten ihren alten Freunden gar nichts. Es war ihre Heiterkeit und Anmut, die sie liebten. Bei ihr schien das Leben ganz dicht unter der Oberfläche zu liegen. Sie war von jener eigenartig strahlenden Schönheit junger Menschen, wie sie Blumengärten in der kurzen Stunde nach Sonnenaufgang besitzen. Wir Haverforder vermißten Lucy, als sie nach Chicago zog, um dort Musik zu studieren. Sie war damals achtzehn; talentiert, aber zu sorglos und leichtherzig, um sich selbst sehr ernst zu nehmen. Sie träumte nie von einer 'Karriere'. Musik hielt sie für einen natürlichen Ausdruck der Freude und für ein Mittel, um Geld zu verdienen, womit sie ihrem Vater daheim helfen wollte, wenn sie wieder zurückkehrte. Ihr Vater, Jacob Gayheart, dirigierte die Stadtkapelle und gab Musikstunden für Klarinette, Flöte und Geige - im Hinterzimmer seines Uhrmacherladens. Lucy hatte, seit sie in der zehnten Klasse war, Klavierstunden für Anfänger gegeben. Die Kinder liebten sie, weil sie sie niemals wie Kinder behandelte; sie bemühten sich, ihr Freude zu machen, besonders die kleinen Jungen. Mochte Jacob Gayheart auch ein guter Uhrmacher sein, so war er doch kein guter Geschäftsmann. Er stammte von bayerischen Eltern ab, aus der deutschen Kolonie in Belleville, Illinois, und sein Handwerk hatte er bei seinem Leseprobe

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