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Wucherzins und Höllenqualen

Ökonomie und Religion im Mittelalter

Erschienen am 25.03.2008
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608944686
Sprache: Deutsch
Umfang: 205 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 17.8 x 11.8 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Während des 12. und 13. Jahrhunderts führte die Christenheit eine regelrechte Kampagne gegen die Wucherei; auf fünf Konzilen wurde sie damals streng verurteilt; bildliche Darstellungen zeigen den Wucherer, wie er von seiner gefüllten Geldbörse, die ihm um den Hals hängt, in die Hölle hinabgezogen wird. Viel gehasst war er - und doch war er notwendig. In Handel und Gewerbe kündigten sich neue Formen des Wirtschaftens an: erste Morgenröte des Kapitalismus, dessen frühester Protagonist der Wucherer ist. Aber in welchem Zwiespalt steckt er! Zwar vermehrt er sein Geld selbst noch im Schlaf, zugleich aber sind ihm die ewigen Höllenqualen gewiss. Und doch braucht die neue Zeit ein Kreditwesen. Mühsam suchen sich die Menschen einen Weg zwischen den heiligen Tabus. Doch gibt es einen Ausweg: das Fegefeuer, durch das bestimmte Kategorien von Sündern noch einmal gerettet werden können. Die Sünde wird relativiert, der Sündenkatalog differenziert, der Wucherer hat sein zweifaches Ziel erreicht: hienieden seine wohlgefüllte Börse zu behalten, ohne im Jenseits das ewige Leben zu verlieren. In Siena wird die erste Bank eröffnet, die christlichen Geldverleiher können ruhig schlafen, während ihr Geld sich vermehrt.

Autorenportrait

Jacques Le Goff, Jahrgang 1924, war Präsident der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Paris, und ist einer der führenden Historiker Europas. Zahlreiche Werke, die größtenteils auch in deutscher ÜberSetzung Furore machten, weisen ihn als herausragenden Kenner des Mittelalters und als exzellenten Vertreter der Sozial- und Mentalitätsgeschichtsschreibung, der "Nouvelle Histoire", aus. Er erhielt zahlreiche Preise: 1987 den "Grand Prix National d'histoires du ministère de la Culture", 1991 die "Médaille d'or du CNRS", 1994 den Hegelpreis der Stadt Stuttgart, 1996 den "grand prix Gobert de l'Académie française", 1997 den "grand prix d'histoire de la Ville de Paris".

Leseprobe

Zwischen Geld und Hölle: Wucher und Wucherer Wucher: Welches andere Phänomen war im Abendland vom 12. bis zum 19. Jahrhundert ein derart explosives Gemisch von Ökonomie und Religion, von Geld und Seelenheil? Sinnbild eines langen Mittelalters: Auf dem neuen Menschen lasteten noch antike Symbole, die Moderne bahnte sich mühsam ihren Weg durch sakrale Tabus, und die List der Geschichte fand in der Repression, wie sie von der geistlichen Macht ausgeübt wurde, zugleich das Handwerkszeug für weltliche Erfolge. Die ungeheure Polemik um den Wucher war gewissermaßen die 'Geburtsstunde des Kapitalismus'. Wer dabei an den pawnbroker 1 denkt, wie er in englischen Romanen aus dem 19. Jahrhundert und in Hollywood-Filmen nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 vorkommt (und der ja nur ein Überbleibsel, eine Larve des Wucherers ist), begibt sich der Möglichkeit, diesen Protagonisten der abendländischen Gesellschaft zu begreifen - einschließlich der sozialen und ideologischen Implikationen, die sich um diesen Nosferatu des Vorkapitalismus ranken. Wie ein dunkler Schatten lag er auf dem Fortschritt der Geldwirtschaft, ein doppelt furchtbarer Vampir der christlichen Gesellschaft, ein Geldsauger, der häufig mit dem Juden, dem Gottesmörder, Kindsmörder und Hostienschänder gleichgesetzt wurde. In einer Welt, in der das Geld (lateinisch nummus ) 'Gott' ist 2, wo 'das Geld siegt, herrscht und be fiehlt ' ( Nummus vincit, nummus regnat, nummus imperat 3 ), wo die bürgerliche Sünde avaritia, die 'Habsucht', deren Nachfahr der Wucher eigentlich ist, die feudale Sünde superbia, den 'Hochmut', als ärgste der sieben Todsünden ablöst - da wird der Wucherer als Spezialist der Zinsleihe zugleich ge braucht und verabscheut, mächtig und schwach. Der Wucher gehört zu den großen Problemen im 13. Jahrhundert. In dieser Zeitspanne befand sich das Christentum auf dem Gipfel eines gewaltigen Aufschwungs seit dem Jahr 1000 und war gleichwohl schon wieder gefährdet. Der Er folg und die Ausbreitung der Geldwirtschaft be drohten die alten christlichen Werte. Ein neues ökonomisches System tauchte auf: der Kapitalismus; ihn zu entwickeln erforderte außer neuen Techniken - zumindest anfänglich - auch den massiven Gebrauch von Mitteln und Methoden, die die Kirche von jeher aufs schärfste verurteilte. Am historischen Wendepunkt von Werten und Mentalitäten tobte ein erbitterter täglicher Kampf, gekennzeichnet von ständig wiederholten Verboten; es ging um die Legitimation des statthaften Profits und dessen Abgrenzung zum unerlaubten Wucher. Wie konnte eine Religion, die traditionsgemäß Gott und Geld als Gegensätze betrachtete, Reichtum - und zumal unrechtmäßig erworbenen - gutheißen? Im Buch Jesus Sirach heißt es ( 31, 5 ): Wer Geld liebhat, der bleibt nicht ohne Sünde; und wer Gewinn sucht, der wird damit zugrunde gehen. Und der Evangelist stimmt ihm zu: Matthäus, Zöllner und Steuereintreiber, der seinen mit Geld bedeckten Tisch verläßt, um Jesus zu folgen, warnt: Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. ( Mat thäus 6, 24) Mammon symbolisiert in der späten rabbinischen Literatur den unbilligen Reichtum, das Geld. Auch Lukas ( 16, 13 ) bezeugt dies mit denselben Worten. Mögen Verordnungen, Gesetze, Vorschriften und Dekrete den Wucher auch verdammen, Gott blickt nur auf den Menschen; so auch der Historiker, der sich - nach einem Wort von Marc Bloch - den Menschen zur 'Beute' nimmt. Wenden wir uns also den Wucherern zu. Um ihnen zu begegnen, müssen wir andere Texte als nur die offiziellen Dokumente befragen. Das kirch liche und das weltliche Recht befaßten sich über wiegend mit dem Wucher, die religiöse Praxis dagegen mit den Wucherern. Wo aber finden wir im 13. Jahrhundert die Spuren dieser Praxis? In zwei Typen von Quellen, die aus viel älteren Gattun

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Die Heuschrecken des Mittelalters