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'There is no alternative'

Politik zwischen Demokratie und Sachzwang

Erschienen am 05.10.2017, 1. Auflage 2017
46,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593507880
Sprache: Deutsch
Umfang: 470 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 21.3 x 14 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

There is no alternative, behauptete die britische Premierministerin Margaret Thatcher einst, um ihre Politik zu rechtfertigen. Viele Politikerinnen und Politiker sind ihr seitdem in dieser Aussage gefolgt: Gerhard Schröder, Tony Blair und zuletzt Angela Merkel während der Eurokrise. Die Rhetorik der Alternativlosigkeit war und ist als politische Strategie beliebt. Astrid Séville setzt sich kritisch mit diesem Mantra auseinander, untersucht die theoretischen Ursprünge und zeigt die Gefahren für die Demokratie auf, wenn Sachzwänge als Begründung für politische Entscheidungen herhalten sollen.

Autorenportrait

Astrid Séville, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Theorie der Universität München.

Leseprobe

Einleitung "There is no alternative to austerity." "These are exceptional measures for exceptional times." Seit politische Akteure auf die Krise der Finanzmärkte und der Eurozone mit einer Rhetorik reagierten, die Alternativlosigkeit und Sachzwang als Entscheidungsgrundlage bemühte, diskutieren wir dieses Phänomen als ein Symptom problematischer Demokratie- und Politikverständnisse sowie de facto eingegrenzter politischer Handlungsspielräume in Zeiten der Globalisierung und eines in die Krise geratenen Finanzmarktkapitalismus. Sowohl Vertreter internationaler Organisationen, europäischer Institutionen als auch nationalstaatlicher Regierungen verwiesen auf Handlungszwänge, Notwendigkeiten und auf die Ausnahmesituation der Krise, um zu kommunizieren, dass der Raum des politisch Sag- und Machbaren wenn nicht demokratischen, parlamentarischen Dezisionen entzogen, dann doch erheblich eingeschränkt gewesen sei. Das sogenannte TINA-Prinzip, bei dem TINA als Akronym für "there is no alternative" steht, hatte in den letzten Jahren als Krisenrhetorik Konjunktur. Auf den ersten Blick mag diese Rhetorik die zeitdiagnostischen Thesen einer Entdemokratisierung bzw. Entpolitisierung, eines postpolitischen Zeitalters und eines Wandels liberaler Demokratien zu postdemokra-tischer Fassadenpolitik bestätigen. Politische Akteure scheinen der Mög-lichkeit freier, kontroverser und institutionell entschleunigter Willensbildungsprozesse beraubt, Regierungsoptionen wirken eingeschränkt und demokratische Gestaltungs- und Handlungsspielräume immer kleiner. Politik wird vermeintlich zu einer Verwaltung wirtschaftlicher Sachzwänge degradiert und steckt in einer "golden straightjacket". Tatsächlich steht der Nationalstaat in der seit 2008 kaum bewältigten, sondern weiterhin schwelenden Krise und im "strukturellen Kontext" der Globalisierung unter Druck; der politische Regelungsbedarf ist angesichts "gesellschaftlicher Denationalisierung", internationaler Verflechtung und wachsender wirtschaftlicher Interdependenz nicht länger auf ausschließlich nationaler Ebene bzw. in nationalen Parlamenten zu bewältigen. Populistischen Versuchungen zum Trotz sind Protektionismus und nationale Abschottung mit er-heblichen Kosten verbunden und oftmals erst durch konfliktbeladene Aufkündigungen internationaler Verträge denkbar. Neben temporären ökonomischen Krisen steht Politik stets vor der Herausforderung, die Konsequenzen ökonomisch-technischer und soziokultureller Entwicklungen zu bewältigen und gesellschaftlichem Wandel zu begegnen. Dem demokratischen Wohlfahrtsstaat drohen hierbei Steuerungsprobleme. Doch die Diagnosen solcher Steuerungs-probleme und einer Krise der Demokratie sind seit jeher ein integraler Bestandteil der Demokratietheorie und das goldene Zeitalter vor der heutigen "Postdemokratie" eine retrospektive Chimäre. Auch die Diskussion um diffundierende Souveränität und schwindende Handlungskapazitäten des Nationalstaats im Zeitalter der Globalisierung begleitet schon seit Ende der 1990er die sozialwissenschaftliche Forschungsdebatte. Während auf der einen Seite Autoren seit Jahren routiniert das "Ende der Politik", das "Ende der Demokratie" und das "Ende des Wohlfahrtstaats" ausrufen, suchen andere diese Unkenrufe und Abgesänge auf demokratisches, nationalstaatliches Regieren empirisch zu entkräften. Sowohl die pessimistische als auch die optimistische Globalisierungsforschung stimmt freilich darin überein, dass insbesondere die wirtschaftliche Globalisierung politische Gestaltungs- und Handlungsspielräume formt: Regierungen müssen angesichts des wachsenden internationalen Handels, des Zuwachses an ausländischen Direktinvestitionen, der gestiegenen Bedeutung der globalisierten Finanz- und Kapitalmärkte sowie transnationaler Konzerne und Unternehmenskooperationen einen schwierigen Mittelweg zwischen ökonomisch effizienten Outputs und dem Bemühen um soziale Gerechtigkeit und demokratischen Input finden. Nationalstaaten verfügen nicht läng